
Tausende Menschen aus den Kriegs- und Krisengebieten der Welt strömen täglich über den Balkan nach Westeuropa. Doch Vit Jedlička möchte nicht helfen. Der selbsternannte Präsident von Liberland will lieber ein Geschäft mit ihnen machen. Für 10.000 Dollar bietet er Flüchtlingen die Staatsbürgerschaft von Liberland an – alternativ können sie Fron- und Arbeitsdienste leisten.
Es war im April 2015 als der Tscheche Vit Jedlička (32) sich von seinen Freunden zum Präsidenten ernennen ließ und ein kleines Stück Land am kroatischen Ufer der Donau gegenüber von Sombor (Serbien) zur „Freien Republik Liberland“ ausrief. Mangels Zugang zum eigenen Land, ließen sich Jedlička und seine Leute in Bezdan und Bački Monoštor bei Sombor nieder. Seit dem reist er um die Welt und sucht nach politischer Anerkennung – bislang vergeblich.
Seine Aktivisten versuchen regelmäßig den Landstrich zu besetzen. Die kroatische Polizei hindert sie daran (weitere Hintergrund-Beiträge im Blog findet Ihr hier).
Auch ein halbes Jahr später ist der Tscheche seinem Ziel kaum näher gekommen. Liberland existiert nicht. Allenfalls medial.
Doch Jedlička will nicht aufgeben. Jüngst stellte er neue Pläne vor: 2017 will er Liberland endgültig erobern und die Kontrolle über das Gebiet erlangen. Wie er das machen will, sagt er nicht. Geld wird in Niederlassungen in Serbien und Kroatien investiert. Ein Architekturwettbewerb für die Bebauung der Halbinsel ist ausgerufen. Es sollen Wahlen stattfinden.
Kein Asyl für Flüchtlinge in Liberland
Doch Jedlička wäre nicht Jedlička würde er sich nicht auch Gedanken ums Geld für sein „Paradies auf Erden“ machen. Während europäische Länder Millionen Euro aufwenden, um Flüchtlingen zu helfen, wittert der selbsternannte Präsident ohne Land und Moral (?) ein Geschäft: Er bietet Flüchtlingen für 10.000 Dollar die Staatsbürgerschaft von Liberland an – alternativ können sie Fron- und Arbeitsdienste leisten.
Von Asyl hält er hingegen nicht viel: „There ist no plan to enable people to claim asylum or refugee status“ (Es gibt keinen Plan, Menschen Asyl oder den Status von Flüchtlingen zu gewähren), sagte er gegenüber der Washington Post.
Wer kein Geld hat, kann für den Scheinstaat arbeiten und Bonuspunkte, sogenannte Merits, sammeln. Ein Merit ist einen Dollar wert. Will Jedlička etwa Flüchtlinge nach Liberland schicken, die für ihn Hütten bauen und sich mit der kroatischen Polizei anlegen? Die armen Menschen kämen vom Regen in die Traufe.
Früh nach der Proklamation der fiktiven Republik und ihrem Erscheinen in sozialen Netzwerken wie Facebook und Twitter hat das Versprechen vom gelobten Land Menschen begeistert und angezogen. Im Frühjahr 2015 fragten immer mehr Männer und Frauen aus Syrien, Ägypten, Afghanistan und Pakistan in den sozialen Medien, wie sie nach Liberland kommen können, um dort zu leben und zu arbeiten. Die mediale Simulation von Liberland spiegelte ihnen etwas vor, das Hoffnungen auslöste.
Tausende Menschen machen sich Hoffnungen
Von den knapp 400.000 Menschen, die sich bis heute für eine Liberland-Staatsbürgerschaft registriert haben, kommen tatsächlich die meisten aus Krisenregionen Nordafrikas sowie des Nahen und Mittleren Ostens (Quelle: Liberland):
- Ägypten: 82.414 Menschen
- Türkei: 44.552 Menschen
- Algerien: 36.088 Menschen
- Marokko: 19.654 Menschen
- Tunesien: 15.099 Menschen
- Syrien: 9.667 Menschen
- Irak: 8.689 Menschen
- Pakistan: 5.937 Menschen
Zum Vergleich: Aus Deutschland wollen nur 1862 ins gelobte Land. Der deutsche Rechts- und Sozialstaat scheint doch seine Vorzüge zu haben.
Ägypten warnt vor Liberland und Vit Jedlička
Besonders in Ägypten hat die aus Prag gesteuerte Propaganda Wirkung gezeigt. Das machen nicht nur die Zahlen sonder auch eine offizielle Warnung der Regierung in Kairo deutlich: Das ägyptische Außenministerium riet laut „The Cairo Post“ potenziellen ägyptischen Auswanderern nach Liberland zur Vorsicht und Zurückhaltung. Man solle nur Auskünften des ägyptischen Staates vertrauen und nicht Informationen aus sozialen Netzwerken. Weiter heißt es: „Viele Ägypter und Jugendliche werden manipuliert, spezialisierte Banden nutzen sie finanziell aus.“ Ob damit auch Jedlička gemeint ist?
Auch Tschechien, das Heimatland von Jedlička, warnt vor seinem eigenen Bürger. Das Außenministerium schreibt in einer Stellungnahme: „Herr Jedlička ist wie jeder andere tschechische Bürger, der sich im Staatsgebiet Kroatiens und Serbiens aufhält, dazu verpflichtet, die örtlichen Gesetze zu beachten. Die Tschechische Republik hält die Aktivitäten des Herrn Jedlička für unangemessen und potenziell schädlich.“
Tausende Menschen haben sich für ein Land registriert, das gar nicht existiert. Für Jedlička und seine Aktivisten ist es vielleicht ein großer Spaß und ein Abenteuer. Für Menschen, die einen Ausweg aus Krieg, Elend und Armut suchen, ist es eine Hoffnung, die wie eine Seifenblase zerplatzen wird. Jedlička spielt ein zynisches Spiel mit diesen Männern, Frauen und Kindern und ihren Träumen.
Herr Jedlička, wie viel Geld haben Sie den Menschen schon abgenommen?
Dieser Beitrag ist der Auftakt zu einer 8-teiligen Meinungsserie über Liberland. Alle Beiträge zu unterschiedlichen Aspekten sind an diesen Blogpost angefügt.
1/8: Wie Präsident Jedlička das Rote Kreuz missbraucht
Zu dem Konzept der Liberland-Staatsgründung gehört es, möglichst viele Behörden, Institutionen und Verbände zu gründen, die einem Staat ein gewisses Legitimationsgefüge geben. Da werden Minister ernannt, Ministerien in Form von Facebook-Seiten gegründet, Botschafter im Ausland berufen, Pässe entworfen, Briefmarken kreiert und auch ein Fußball-Verband, der sogleich nach der Mitgliedschaft in der FIFA strebt, darf nicht fehlen.
Das Ziel ist, möglichst viele Köder auszuwerfen in der Hoffnung, dass einmal eine staatliche Institution anbeißt und Liberland daraus eine Anerkennung oder Legitimation ableiten kann. Soweit ein netter Versuch.
In den Zynismus abgedriftet sind die Liberland-Aktivisten und Jedlička mit der Gründung von „Liberland Red Cross“.
Eine Flagge, ein paar T-Shirts, ein aus dem Internet geklautes Foto für die Homepage und fertig war die Rotkreuz-Sektion von Liberland, die sogleich nach Mitgliedschaft im Internationalen Roten Kreuz strebte.
Das ist ein Affront gegen die Humanität! Denn das Rote Kreuz ist genau das Gegenteil von dem wofür es Liberland missbraucht: Es lässt sich nicht von Staaten vor den Karren spannen, ist selbstlos im Einsatz und keinen marktwirtschaftlichen Gesetzen unterworfen.
Doch die Aktivisten um Jedlička hatten anderes im Sinn: Wie gut ließen sich doch Bilder propagandistisch ausschlachten, auf denen Liberland-Rotkreuzler von der kroatischen Polizei festgesetzt und mit Handschellen am Donaustrand fixiert werden. Die Rot-Kreuz-Fahne wird von bewaffneten Polizisten entrissen – der ultimative Propagandaschlag gegen Kroatien, das ihnen den Zutritt zu Liberland verwehrt.
Das sind die Kategorien, in denen Jedlička und seine Freunde denken und handeln. Es schreckt niemand davor zurück, die Symbole internationaler, humanitärer Organisationen zu missachten und zu missbrachen.
Und so kam es auch, wie die Fotos aus einem Video der „Liberland Settlement Association“ zeigen.: Die Aktivisten stürmten per Boot an das Ufer, hissten die Rot-Kreuz-Fahne und ließen sich auf einen Kampf mit der kroatischen Polizei ein. So produziert man Propaganda-Bilder. Die Aktion endete wie die meisten im Gefängnis von Beli Manastir.
Als übrigens im Herbst die ersten Flüchtlinge auf der Balkanroute in Sombor strandeten weil Kroatien den Grenzübergang bei Bezdan geschlossen hatte, da war vom Roten Kreuz des Liberland-Teams nichts zu sehen. Das Rote Kreuz aus Sombor hat den Menschen geholfen und Nahrung, Medikamente und Kleidung verteilt.
Die Humanität von Vit Jedlička endet dort, wo sie nicht mehr den eigenen Zielen dient. Das unterscheidet ihn vom selbstlosen Einsatz aller Rotkreuz-Helfer weltweit.
2/8: Liberland und das Märchen vom Niemandsland
Der Gründungsmythos von Liberland beruht auf der Behauptung, das 7 Quadratkilometer große Areal im Grenzgebiet von Serbien und Kroatien sei Niemandsland. Demnach habe jeder das Recht, es für sich zu beanspruchen und einen Staat zu gründen. Das ist allerdings ein Irrtum, wenn nicht sogar eine bewusste Lüge.
Vít Jedlička denkt gerne groß und vergleicht seine Mission mit der Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. Er und die ersten Siedler seien aus dem gleichen Holz geschnitzt, so lautet die Botschaft. Dass mit der Besiedelung Amerikas ein Völkermord an den Indianern einherging, das vergisst er dabei allerdings. Aber das ist für den Präsidenten nur eine Kleinigkeit. Nur gut, dass es auf Liberland keine Ureinwohner gibt.
Die Geschichte um die Grenzziehung in der Region ist etwas komplizierter – daher ist die Erklärung auch etwas länger – es lohnt sich aber für das Verständnis:
Die Donau-Ufer zwischen Serbien und Kroatien sind am Oberlauf wenig bebaut. Oft handelt es sich um Auenwälder, die heute unter Naturschutz stehen. Daher konnte die Donau ihren Lauf in den vergangenen Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder verändern. Auch heute noch bilden sich neue Sandbänke im Strom und der Fluss knabbert mal an der einen, mal an der anderen Seite etwas Land ab. Das Liberland-Areal liegt zwischen einem Altarm und dem heutigen Lauf der Donau.
Im ehemaligen Jugoslawien war die Grenze zwischen den Teilrepubliken Serbien und Kroatien nicht von großer Bedeutung. Sie lief entlang eines uralten Stromverlaufs an Altarmen der Donau in einer Schlangenlinie mal auf der einen, mal auf der anderen Flussseite.
Während der Balkan-Kriege hatten serbische Aufständische die Kontrolle von Ostslawonien, dem östlichen Teil Kroatiens, übernommen. Mit dem Abkommen von Erdut von 1998 wurde die Region wieder kroatischer Verwaltung unterstellt und der Grenzverlauf vorläufig in der Mitte der Donau festgelegt.
An dieser Grenzregelung orientiert sich Serbien heute und übt die Kontrolle über alle Gebiete östlich der Donau aus. Kroatien beruft sich jedoch weiter auf den Grenzverlauf aus jugoslawischer Zeit und sagt, die Verhandlungsdelegation in Erdut sei nicht zum Vertragsabschluss ermächtigt gewesen.
Nach der kroatischen Interpretation liegen daher mehrere Ausbuchtungen der alten Grenzlinie auf serbischer Seite. Kroatien beansprucht Flächen von insgesamt 115 Quadratkilometer auf serbischer Seite (auch in offiziellen kroatischen Karten ist dieser Grenzverlauf eingezeichnet).
Vier vergleichsweise kleine Ausbuchtungen des alten Grenzverlaufs liegen jedoch auf kroatischer Seite. Sie seien Niemandsland, so Vít Jedlička ,da Serbien sie nicht als sein Staatsgebiet betrachtet und Kroatien sie aber als serbisches Hoheitsgebiet einstuft/einstufen will. Von diesen vier Flächen hat sich der Tscheche die größte ausgesucht und dort die „Freie Republik Liberland“ ausgerufen.
Die Behauptung, es handele sich um Niemandsland, ist aber ein Irrtum. Die momentane Nicht-Beanspruchung ergibt sich lediglich aus den beiden unterschiedlichen Positionen der Länder im ungelösten Streit um den Grenzverlauf. Sollten sich Serbien und Kroatien auf einen Grenzverlauf einigen, wird sicher eines nicht passieren: dass Flächen übrig bleiben.
Die Grenzbehörden beider Länder orientieren sich zudem in der Praxis an der Flussmitte. Wer mit dem Boot auf dem Liberland-Areal landet, wird wegen eines illegalen Grenzübertritts von der kroatischen Polizei festgenommen.
3/8: Wie die Liberland-Propaganda funktioniert
Wer die Liberland-Propaganda in den sozialen Medien verfolgt, der sieht meist einen Präsidenten, der Hände schüttelt, Vorträge hält, mit angeblichen Investoren verhandelt und diplomatische Konsultationen führt. Stets gibt es ein Bild, auf dem Menschen mit Jedlička zusammenstehen oder er irgendjemand die Hand schüttelt.
Auffallend ist jedoch, dass es oft keine konkreten Namen zu den abgebildeten Personen gibt und darüber hinaus keine weiteren Informationen veröffentlicht werden. Irgendetwas konkret Greifbares hat das Jetset-Leben des Präsidenten noch nicht zu Tage gefördert – außer unverbindlichen Absichterklärungen.
Hauptziel von Jedlička war im ersten halben Jahr, irgendeine Form von Anerkennung für seine selbsternannte Freie Republik zu bekommen. Das Ergebnis ist allerdings gleich null.
Sombor Blog hatte schon im Frühjahr belegt, dass eine angebliche Konsultation von Jedlička im kroatischen Außenministerium nie stattgefunden hat. Maximal war er bis zum Pförtner gekommen.
Exemplarisch dafür, wie die Propaganda-Masche von Jedlička funktioniert, haben wir zwei Fälle recherchiert:
1. Beispiel: Mit dem kroatischen EU-Abgeordneten Davor Škrlec wollte der selbsternannte Präsident angeblich das Thema Liberland erörtert haben. In einem Facebook-Post schrieben die Liberland-Aktivisten dazu (übersetzt ins Deutsche): „Der Präsident traf Davor Škrlec, Mitglied des EU-Parlaments aus Kroatien, in Osijek, um die Außenpolitik Liberlands zu diskutieren.“
Wie Sombor Blog aus dem Büro von Davor Škrlec bestätigt bekam, hat es allerdings kein offizielles Treffen gegeben. Der Abgeordnete habe in Osijek eine Veranstaltung zum Thema TTIP besucht und dort eine Rede gehalten. Anschließend sei Jedlička draußen auf ihn zugekommen, habe ihm die Hand geschüttelt und sich sofort fotografieren lassen (Foto oben). „In diesem Moment kannten wir den Herrn nicht, bis er sich selbst vorstellte“, schreibt Alan Kečkeš, Assistent von Davor Škrlec.
Die Facebook-Seite „The Liberland Times“ schrieb zudem, Škrlec habe Jedlička zu einem Treffen mit der kroatischen Außenministerin Vesna Pusić eingeladen.
Doch weder von einer Einladung noch von Diskussionen über Liberland ist dem EU-Abgeordneten etwas bekannt. Alan Kečkeš schreibt an Sombor Blog: „Da das Gebiet Teil der Grenzfrage zwischen Kroatien und Serbien ist, muss dies in Gesprächen zwischen den offiziellen Regierungen im Rahmen des internationalen Rechts und im Interesse der Menschen auf beiden Seiten der Donau gelöst werden.“
2. Beispiel: Jedlička will angeblich „Botschafter“ acht anderer Länder sowie Europa-Abgeordnete in Zagreb (Kroatien) getroffen haben. „Everybody was happy to know more about Liberland“, schreibt Liberland. Wieder gibt es Fotos auf denen Jedlička Hände schüttelt. Namen werden nicht genannt.
Die Erklärung ist einfach: In Zagreb fand zu dieser Zeit der Europatag mit Teilnehmern aus mehreren Ländern statt. Jedlička ist hingefahren, ist dort von Stand zu Stand gelaufen und hat Hände geschüttelt und sich dabei fotografieren lassen. Die sogenannten Botschafter dürften nette Damen und Herren gewesen sein, die Wein und andere Köstlichkeiten ihrer Heimat angeboten haben.
Das sind zwei Beispiele dafür, wie die diplomatischen Konsultationen des Hochstaplers Vit Jedlička funktionieren.
Die Liberland-Verlautbarungen dürften also in nicht unerheblichen Teilen eine Lüge sein oder sie bewegen sich sprachlich frisiert geschickt im Grenzbereich zwischen Wahrheit und Dichtung.
4/8: Das große Missverständnis: libertär statt liberal
Das Motto von Liberland lautet „To live and let live“ (Leben und leben lassen). Das hört sich im ersten Moment irgendwie liberal an, fast schon hippiemäßig. Doch das ist ein großes Missverständnis, denn die Ideologie von Vit Jedlička ist knallhart libertär.
Libertarismus ist eine politische Philosophie vom Prinzip des Selbsteigentums ausgehend die für eine teilweise bis vollständige Abschaffung oder Beschränkung des Staates ist. Dabei geht es vor allem darum, bis zu welchem Grad ein Staat jedem seiner Bürger Spielregeln setzen darf. In der libertären Staatsform gibt es nur ein Minimum an Steuern und keine Sozialabgaben. Eine staatliche Daseinsvorsorge für den Bürger existiert nicht.
Wo es keinen Staat gibt, da gibt es aber keinen Schutz und kein Sozialsystem. Nach Jedličkas Vorstellungen regelt das alles irgendwie der Markt.
Doch mit voller Risikobewertung des Einzelnen funktioniert zum Beispiel auch das Solidarsystem der privaten Versicherungswirtschaft nicht mehr, die es in Sozialstaaten nur geben kann weil die risikoreicheren Bevölkerungsgruppen vom Staat aufgefangen werden. Wer sich selbst nicht helfen kann, dem sollen in Liberland seine Freunde helfen oder er muss andere überzeugen ihm zu helfen.
Ein konkretes Beispiel: Du lebst in Liberland und hast eine Blinddarm-Entzündung. Wenn es mit viel Glück irgendwann einmal ein irgendwie finanziertes Krankenhaus in Liberland gibt, muss Du die Blinddarm-OP selbst bezahlen. Hast Du kein Geld oder nicht genug Freunde mit Geld, sollst Du nach den Vorstellungen der Liberland-Aktivisten eine Crowdfunding-Aktion im Internet starten, um Spenden für Dein Überleben zu sammeln.
Wie zynisch und menschenverachtend das ist, weiß jeder, der schon mal eine Blinddarm-Entzündung hatte. Das was Jedlička in Liberland plant, ist Sozial-Darwinismus, Survival of the Fittest.
Das sich Jedlička mit dem Liberland-Projekt der libertären Bewegung verschrieben hat, macht auch die Liberland-Flagge deutlich: Schwarz-Gelb sind ihre Farben.
Gegen den Libertarismus à la Jedlička war der Neoliberalismus bislang nur ein Kindergeburtstag.
Die gesellschaftlichen Pläne und Vorstellungen von Jedlička verstoßen in vielen Punkten klar gegen die Allgemeinen Menschenrechte. Das dürfte den wenigsten klar sein, die jetzt noch im Zeichen von Love and Peace romantische Lieder über das Leben und die Freiheit auf Liberland singen: „On White Sand, Let us build Liberland“ (Video oben).
5/8: Wie der Präsident mit dem Leben der Aktivisten spielt
Wer mit einem Paddel auf das Wasser schlägt, der verursacht Wellen kommt aber nicht vom Fleck. Ein Schlag ins Wasser waren bislang auch alle Versuche Liberland zu besiedeln. Sowohl von Kroatien aus über Land als auch auf dem Wasserweg versuchten Aktivisten 2015 Liberland zu erreichen und das Gebiet zu besetzen. Fast jeder Versuch endete in der Konfrontation mit der kroatischen Polizei, die die Siedler festnahm. Im besten Fall erfolgte die Ausweisung. Eine ganze Reihe von ihnen landete allerdings vor Gericht und anschließend im Gefängnis. Darunter auch der Präsident.
Obwohl diese Situation im Sommer 2015 allen klar war und kein Weg an der kroatischen Polizei vorbeiführte, unternahmen Aktivisten immer wieder Versuche, nach Liberland zu gelangen: Teilweise fuhren sie auf halsbrecherischer Weise in überladenen Mini-Booten ohne Schwimmwesten und mit Nichtschwimmern an Bord über die Hochwasser führende Donau (Foto).
Selbst ein minderjähriger Deutscher, der Vorsitzende der Jungen Liberalen Rhein-Sieg, versuchte es angestiftet von der Liberland-Gehirnwäsche und landete im kroatischen Knast. Nur mit sehr viel Glück kam bisher niemand ernsthaft zu Schaden.
Der selbsternannte Präsident Vít Jedlička, der seine Aktivisten immer wieder auf solche Unternehmungen schickt, sie mit Propaganda beeinflusst oder sie zumindest nicht davon abhält lebensmüde Aktionen zu starten, wäre mitverantwortlich, wenn es Verletzte oder gar Tote gäbe.
Es steht zu befürchten, dass erste Opfer genau so propagandistisch ausgeschlachtet werden wie die bisherigen Inhaftierungen und Verurteilungen zu Gefängnisaufenthalten. Man verdreht Ursache und Wirkung und gibt der kroatischen Polizei die Schuld, die friedliche Siedler daran hindere ihr gelobtes Land zu erreichen.
Vít Jedlička handelt unverantwortlich und setzt Leib und Leben seiner Aktivisten aufs Spiel.
6/8: Wo ist das Geld geblieben, Herr Präsident?
Bei meinem ersten Treffen mit dem selbsternannten Liberland-Präsidenten Vit Jedlička in Bački Monoštor bei Sombor sagte er: „Geld ist kein Problem“. Doch wo es herkommt und wo es hinfließt, bleibt unklar. Entweder steckt Jedlička sein eigenes Vermögen in das Projekt oder er hat Gönner und Spender. Doch was passiert mit dem Geld?
Dass es dem Liberland-Präsidenten an nichts mangelt , zeigen zahlreiche Bilder auf verschiedenen Liberland-Seiten im Internet. Mal fliegt er im Privatjet von Prag nach Osijek und kreist dabei ein wenig über Liberland, mal posiert er mit einer kleinen Jacht die eine Liberland-Gruppe gekauft hat, mal wird ein für serbische Verhältnisse stattliches Haus gezeigt, das seine Residenz ist, wenn er sich in der Region von Sombor aufhält, um Liberland nahe zu sein. Doch wo kommt das Geld her und wofür gibt er es aus? Gibt es einen Nachweis, wofür Spenden verwendet werden – für Boote, Autos, Privatflüge oder Kleider für die First Lady?
Mehrere Anfragen von Sombor Blog auf verschiedenen Wegen blieben bislang unbeantwortet. Transparenz scheint nicht zur Idealen von Liberland zu gehören.
Einen Finanzminister hat der Liberland-Präsident schon ernannt. Eine einfache Einnahmnen/Ausgaben-Bilanz konnte er bislang nicht aufstellen und veröffentlichen.
Wer auf der Homepage für Liberland spenden möchte, bekommt zwar Kontoverbindungen von Banken in der Schweiz und Liechtenstein angegeben, wer der physische Empfänger ist, bleibt aber unklar.
Wo landet das Geld, Her Präsident? Auf Ihrem Konto, bei einer der vielen Liberland-Unterorganisationen? Ist der Empfänger eine Firma oder eine als gemeinnützig anerkannte Organisation? Wie halten Sie’s eigentlich mit der Steuer in Tschechien, Herr Präsident?
7/8: Die mediale Simulation des Staates Liberland
Bislang lebt Liberland digital und medial. Liberland braucht Aufmerksamkeit, um wahrgenommen zu werden. Medien lieben absurde Geschichten, um Aufmerksamkeit zu bekommen.
Zwischen Liberland und den Medien gibt es also eine Win-Win-Situation. Auf dieser Welle surft Jedlička durch die Lande. Der mediale Rummel ebbt aber langsam ab. Alle Gründungen von Mikro- oder Operettenstaaten sind zudem bislang im Sande verlaufen oder spätestens mit dem Tod ihrer Gründer wie im Fall von Seeland zu Grabe getragen worden.
Erstaunlich ist jedoch, wie wenig kritisch sich Medien mit der Person Jedlička und seinem politischen Gedankengut beschäftigen. Die allermeisten Berichte sind wohlwollen bis amüsiert, gehen aber kaum in die Tiefe oder hinterfragen Thesen und Pläne. Die Idee vom Staat ohne Steuern blendet offenbar auch Journalisten.
Immerhin hat Jedlička auf demokratischem Weg in Tschechien keine politischen Erfolge erzielen können. Jetzt versucht er es mit einer Art Landraub.
In Tschechien war Jedlička zunächst ab 2001 Mitglied der Demokratischen Bürgerpartei. trat 2009 trat er laut Wikipedia in die Partei freier Bürger ein. Seit ihrer Gründung konnte die Partei bei keiner republikweiten Wahl die Sperrklausel von 5 Prozent überwinden. Sie errang aber einen Sitz im EU-Parlament. Jedlička ist Vorsitzender des Regionalverbandes Königgrätz seiner Partei sowie Gründer und Vorsitzender einer Bürgerinitiative.
Da Jedlička jedoch außer einer großen medialen Welle und einem Haufen verführter Jünger politisch noch nichts Konkretes bewegt hat, ist Liberland bislang nur die mediale Simulation eines Staates, der weitgehend in den sozialen Medien lebt.
Bei Facebook gibt es eine unüberschaubare Anzahl von Seiten, die Liberland im Titel führen. Von einem Liberland Verteidigungsministerium bis zum Liberland Nudistenverband ist fast alles vertreten. Was davon offiziell ist und was nicht, ist kaum zu erkennen.
Dass Medien die absurden Geschichten von neuen Ländern, die sich irgendwo auf vermeintlichem Niemandsland gründen, lieben, kann man gerade in Deutschland beobachten. Dort hat sich an der deutsch-niederländischen Grenze das „Wunderland“ gegründet. Drei Männer und ein Hund campieren dort mit Zelt und Wohnwagen auf einer Wiese und proklamieren einen eigenen Staat – vermutlich ohne Hundesteuer.
Unterstützung kam sogleich aus Berlin in Person des deutschen Liberland-Botschafters Christian Jacken angereist. Jacken war mal bei der Piratenpartei und wollte dort politischer Geschäftsführer werden. Als das nicht klappte, kandidierte er als Bundesvorsitzender der AfD gegen Bernd Lucke und Frauke Petry. Der Ausgang ist bekannt. Nun ist er Vorstandsmitglied der kleinen deutschen Freiheitspartei. An der holländischen Grenze will er die Wunderländer unterstützen und sieht sich inzwischen auch als Bewohner des neuen Staates.
Ob Liberland oder Wunderland – neben den verschwurbelten politischen Ideen suchen sie alle vielleicht doch nur eines: eine Wiese zum kostenlosen Campen.
(Das Foto oben ist der Titel-Screenshot der New York Times mit einem sehr ausführlichen Beitrag in englisch: Welcome to Liberland, the World’s Newest Country (Maybe))
8/8: Werden sich die Liberland-Anhänger radikalisieren?
Ein Guru, viel Propaganda und ein paar radikalisierte Anhänger, die für den Glauben an Liberland sogar ihre Gesundheit und ihr Leben aufs Spiel setzen und freiwillig ins Gefängnis gehen. Welcher Begriff passt da besser als der der Sekte? Eine politische Sekte.
Ob und wie sich Liberland radikalisieren wird, wird das nächste Jahr zeigen. Schon in diesem Jahr gab es Anzeichen dafür, dass Teile der Aktivisten um den Führer der „Liberland Settlement Association“, Niklas Nikolajsen (ein dänischer Programmierer, der in der Schweiz lebt), die Besiedlung mit deutlich mehr Druck vorantreiben wollen. Die Taktik, mit provozierten Verhaftungen internationale Aufmerksamkeit zu erregen, kam von Nikolajsen.
Wie wird sich die Rivalität zwischen Nikolajsen und dem selbsternannten Präsidenten Vit Jedlička entwickeln? In mehreren Internetforen gibt es Stimmen von Anhängern, die zu den Waffen greifen wollen, um sich der kroatischen Polizei zu widersetzen.
Ob das auch den Plänen von Vit Jedlička entspricht – und ob er noch alle seine Anhänger unter Kontrolle hat –, ist unklar. In einer Präsentation (siehe Foto) hatte er im Herbst angekündigt bis 2017 die territoriale Kontrolle über Liberland erlangen zu wollen. Wie das genau geschehen soll, bleibt unklar.
Es ist nicht erkennbar, warum Kroatien seine Einstellung zu Liberland ändern sollte. Niemand hat dort ein Interesse daran, dass sich Dritte in ungelöste Grenzkonflikte einmischen.
Sollte sich das Katz-und-Maus-Spiel mit der kroatischen Polizei im kommenden Jahr fortsetzen und eine Besiedelung nicht gelingen, dürfte der Kreis der Aktivisten erheblich schrumpfen. Es ist möglich, dass man weiter ein Sommercamp in Serbien betreibt und sich Jedlička auf der politischen Bühne bewegt. Zumal das Leben dort wesentlich angenehmer ist, als zusammen mit Moskitos auf Liberland.
Ein unbekannter Photoshop-Künstler hat in einem Liberland-Forum schon mal gezeigt, wie er sich seinen Präsidenten vorstellt: mit Barett, Orden und Kalaschnikow.
Über den Winter haben sich die Aktivisten erst einmal in ihre rechts- und sozialstaatlichen Heimatländer zurückgezogen. Überwintern am serbischen Ufer der Donau war ihnen doch zu ungemütlich. Da waren die amerikanischen Siedler aus einem anderen Holz geschnitzt…
Und wie ist Eure Meinung zu Liberland? Feuer frei in den Kommentaren!
Fotos: eigene, Liberland, Screenshots mit Link
Karte: Hier liegt Liberland
English: This report is also available in English.
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Toliko od Jedlicke i Liberlanda !!!!
Bravo Herr Menz !!!
Und was spricht jetzt dagegen, die Leute auf diesen Landstrich zu lassen, und ihre eigene Utopie leben zu lassen?
Punkt 2/8 zm Beispiel…
PS: Danke für den Link!
Endlich mal eine kritische Betrachtung dieser Inszenierung. Danke! Es bedarf wirklich keiner neuen Unruhestifter auf dem Balkan.
Liberland hat ein größeres Problem. Siga wurde bereits von Paraduin beansprucht.