
Seit Wochen sorgt ein neues Land in Europa für Schlagzeilen: Liberland. Es liegt im Niemandsland zwischen Serbien und Kroatien an der Donau. Gegründet hat es der Tscheche Vit Jedlička (31) und sich von den Mitstreitern gleich zum Präsidenten wählen lassen. Derzeit ersuch man international um Anerkennung, hat aber erst mal Ärger mit der Polizei in Serbien und Kroatien, die den Zutritt verwehren.
Was bisher geschah, könnt Ihr in zehn Punkte gegliedert hier im Blog lesen.
Ausweichquartier ist das Freizeitgelände und Gästehaus „Oase der Ruhe beim schönen Thomas“ in Bački Monoštor, einem Dorf, das zu Sombor gehört und direkt an der Donau gegenüber von Liberland liegt. Beim schönen Thomas hat die Truppe um Jedlička ihr Konsulat eingerichtet. Es dient als Hauptquartier und diplomatische Vertretung in Serbien. Was treibt die Truppe dort? Was gibt es neues zu Liberland? Zeit für einen Besuch beim Präsidenten. Auf nach Bački Monoštor.
„Dear Mr. President,…“ – die Kontaktaufnahme hatte ich etwas untypisch für Staatsoberhäupter am Tag zuvor per SMS eingeleitet. Die Antwort kam formlos eine Stunde später: „Please come at 9.20 for briefing.“
Die Vojvodina in Nord-Serbien ist so flach, dass man meist schon mittags sehen kann, wer abends zu Besuch kommt. Nicht so in Bački Monoštor. Das Dorf hat ganz untypisch für die Region viel Wald, meist Auenwälder der Donau, und ist von Altarmen des Stroms umgeben. Wer nach Bački Monoštor will, muss mindestens ein bis zwei Brücken passieren.

Mit deutscher Pünktlichkeit rollt mein Auto auf den Hof der „Oase der Ruhe beim schönen Thomas“. Es sind schon am Morgen knapp 24 Grad. Gegen Mittag sollen es 30 werden. Frühling in der Vojvodina. Das Anwesen liegt direkt am Bački Kanal, der ein Dorf weiter in Bezdan von der Donau abzweigt und zum Donau-Theiß-Kanalsystem der Vojvodina gehört.
Idylle pur, muss man sagen. 50 Meter vor dem Haus quaken die Frösche im Schilf, in der Ferne brummt ein Traktor auf dem Feld, nebenan auf dem Acker jätet ein Kleinbauer seine Zwiebeln, hin und wieder rumpelt ein Auto über die alte, hölzerne Kanalbrücke.
Ich werde erwartet. Allerdings lässt der Präsident noch auf sich warten. Ist eben bei Staatsoberhäuptern so. Macht auch nichts, ich werde vom Liberland-Team freundlich mit Kaffee versorgt.
Die Truppe findet sich gerade auf der Veranda vom schönen Thomas zum Frühstück ein. Aus der Küche werden Wurstplatten, Schafskäse, Eier und Brot gebracht.
Das Liberland-Team, das sind an diesem Morgen sieben bis acht Frauen und Männer, meist zwischen 20 und 30 Jahre alt. Tschechen, Schweizer, ein Ire, eine Kroatin. Alle Steckdosen auf der Veranda sind mit Ladekabeln belegt. Jeder hat mindestens ein Handy in der Hand oder den Laptop vor sich. Während die einen essen, füttern die anderen ihre Rechner. Eine junge Frau jongliert mit einem Stapel Kreditkarten, bezahlt online Rechnungen. Unterdessen steht der letzte Langschläfer auf. Schlurft blinzelnd in Socken über den Hof.
Nach einer knappen Stunde trifft der Präsident ein. Er schläft nicht im Konsulat, hat ein Extra-Quartier. Bei Maria im Dorf, wie es heißt. „Good morning, Mr. President!“
Jedlička trägt wie auf den meisten Fotos, die ich gesehen habe, Casual-Look: Jeans, braune Schuhe, Hemd, Sakko. Er bittet mich noch um etwas Geduld, er müsse zunächst noch ein paar Dinge mit seinen Mitarbeitern regeln.

Doch sogleich ruft der schöne Thomas aus dem Haus nach dem Staatsoberhaupt: „Mr. President, we have to talk!“ Klingt mehr nach Vor- als nach Einladung für den Staatsmann. Aus dem Haus dringen die Stichworte „Mittagessen“ und „Gulaschsuppe“ nach draußen. Etwas kann nicht wie geplant geliefert werden. Die Verköstigung des Konsulat-Teams muss kurzfristig umdisponiert werden. Ganz profane Dinge, um die sich ein Präsident von Liberland so kümmern muss.
Auch ist der Hausherr nicht so ganz mit Ordnung und Sauberkeit der Liberländer zufrieden. Der schöne Thomas heißt eigentlich Tomislav Popović und war Gastarbeiter in der Schweiz. Mit der Rente ist er in sein Heimatland Serbien zurückgekehrt. Dort hat er sich in zwei Jahren ein Refugium aufgebaut, das jetzt plötzlich das Liberland-Konsulat ist. Mitgebracht hat er eidgenössische Vorstellungen von Genauigkeit und Ordnung. Das macht es für den Präsidenten im Exil nicht einfacher.
Viertel vor 11. Der Präsident hat jetzt Zeit fürs Gespräch. Wir gehen um die Ecke, weg vom geschäftigen Treiben im Konsulat. Vit Jedlička lässt sich in eine Hollywood-Schaukel fallen. Schaukelt leicht. Ich sitze ihm gegenüber.
Wie es denn weitergehen soll mit Liberland, will ich wissen. Der Status quo sehe ja nicht so gut aus. Kein Zugang zum eigenen Land, das administrativ nur im Internet existiert, und Stress mit der Polizei.
Jedlička gibt sich gelassen. Ein Mitarbeiter sei gerade in Kroatien unterwegs, um mit den Behörden über den Zugang zum Gelände zu verhandeln. Bislang hatte die kroatische Grenzpolizei das noch als Grenzverletzung gewertet. Immerhin eine EU-Außengrenze.

Das sei gerade eine etwas „delikate Angelegenheit“, sagt Jedlička . Erst am Tag zuvor war eine Gruppe, die zu Fuß nach Liberland wollte, vorläufig festgenommen worden. Nach sechs Stunden auf der Polizeiwache und einer Geldstrafe von rund 400 Euro waren die Aktivisten an die ungarische Grenze gebracht und freundlich des Landes verwiesen worden.
Jedlička spricht von „guten Gesprächen mit den Behörden beider Länder“ ohne konkreter zu werden. Vielfach erfahre er Unterstützung von Amtsträgern, die dies aber nicht öffentlich machen wollten.
Öffentlich Sympathien für Liberland bekannt, das hat zumindest die Stadt Sombor. Deren stellvertretender Bürgermeister Vladislav Živanović war am Tag zuvor im Konsulat bei Jedlička zu Besuch. Liberland postete ein Foto vom Treffen auf Facebook. Der Bürgermeister kommt zum Präsidenten. Das hat Jedlička gefallen.
Gab es konkrete Ergebnisse des Treffens, möchte ich wissen. Ja, der Bürgermeister sei „begeistert“ gewesen vom Projekt und könne sich eine „business cooperation“ für die Zukunft vorstellen, so der Präsident. Was das genau für ein Business das sei, bleibt unklar.
Jedlička wirkt phasenweise etwas abwesend, spricht sehr leise, schaut und tippt auf dem Handy. Unterbricht das Gespräch für Anrufe. „Sorry, that’s important.“ Gelegentlich meine ich einen Anflug von Arroganz zu spüren. So eine milde wissende Form, die bei Menschen durchschimmert, die scheinbar überlegenen Ideen in sich tragen.

Er betont, dass er aktuell niemanden dazu aufrufe, von Kroatien aus nach Liberland zu kommen, da es keine Vereinbarung mit Kroatien über den Grenzübertritt gebe. Natürlich respektiere er die kroatischen Gesetze, sagte er auf Nachfrage, um nachzuschieben: „Leider respektiert Kroatien nicht unsere Integrität und unsere Grenzen. Die kroatische Polizei dringt in Liberland ein und bringt die Leute weg.“
Man wolle stattdessen erneut den Wasserweg von Serbien über die Donau wählen, auf „internationalem Gewässer“. Dies hatte die serbische Polizei vergangene Woche noch unterbunden. Derzeit sei man jedoch dabei, eine Vereinbarung mit der Grenzpolizei in Bezdan, dem nahegelegenen offiziellen Grenzübergang zwischen Serbien und Kroatien, zu treffen, um bald mit Booten nach Liberland übersetzen zu können.
Wo die Grenze zwischen Serbien und Kroatien verläuft, darüber gibt es zwischen beiden Ländern unterschiedliche Vorstellung. Die Details und Hintergründe könnt Ihr hier im Blogpost lesen.
Dass die Aktivisten es diesmal ernst meinen, zeigt die Ausrüstung, die beim schönen Thomas auf dem Hof lagert: Kunststoff-Pontons für eine Mole, tragbare Stromerzeuger, Diesel in Kanistern, Wasser, Zeltplanen und allerlei, was man für eine Party auf Liberland braucht.
Präsident Jedlička betont, dass man es mit der Besiedlung von Liberland ernst meine. Auch hielten sich derzeit schon Aktivisten dort auf. Fotos von der Eroberung gibt es davon jedoch keine – möglicherweise mangels Internet auf Liberland.
Für Freitag sei jedoch wieder ein „Liberland Liberation Day“ geplant und man wolle mit einer größeren Gruppe nach Liberland gehen. Im Internet werden Interessierte derweil aufgerufen, sich für einen dreitägigen Aufenthalt auszurüsten. Mitgebracht werden sollen Pass, Wasser, Nahrung, Besteck, Taschenlampen, Hygieneartikel, persönliche Medikamente, Schlaflager und Mückenschutz. Derzeit würden Boote beschafft.
Das Liberland-Team betont, dass jeder auf sein eigenes Risiko teilnehme und man weder Sicherheit noch Infrastruktur garantieren könne. Ziel sei es, ein Feldlager mit Wasserversorgung zu errichten.
Dass das Areal, das nun Liberland heißt, von Naturschutzgebieten umgeben ist, scheint die Aktivisten nicht zu hindern, in den Donau-Auen eine dreitägige Party feiern zu wollen. Möglichst jedes Wochenende. Bis Liberland dauerhaft besiedelt ist.

Das weitere Gespräch mit Präsident Jedlička kann ich inhaltlich kurz zusammenfassen: Geld spielt keine Rolle, Spenden aus aller Welt treffen minütlich ein. Die Gründung neuer Länder bringt mehr Freiheit und Möglichkeiten für die Menschen. Investoren für Liberland stehen bereit. Verträge gibt es keine. Alles „ Gentlemen’s Agreements “. Tausende werden nach Liberland und in die Region kommen. Hunderte schon am nächsten Wochenende. Es wird eine wirtschaftliche Belebung der Region geben. Der Widerstand der Behörden, besonders in Kroatien, wird nicht mehr lange andauern.
Und was sagen die Einheimischen in Sombor zu Liberland? Ich habe mich mal in meinem Freundes- und Bekanntenkreis umgehört: Medial ist Liberland natürlich ein großes Thema. Wenngleich die Menschen, die hier in Sombor ein durchschnittliches Monatseinkommen von rund 300 Euro haben (bei Benzinpreisen wie in Deutschland), wahrlich andere Sorgen als die Besiedelung einer Sandbank in der Donau haben.
Die Behörden, so ist mein Eindruck, scheinen noch ein wenig zwiegespalten zu sein. Einerseits will man keine Leute, die Ärger verursachen – schon gar nicht mit Kroatien –, andererseits sieht man natürlich, dass die Liberland-Leute ein bisschen Geld hierlassen – so lange es auf Liberland noch nichts zu kaufen gibt – und den medialen Fokus auf die Region lenken. Da ist man ganz pragmatisch. So wie der schöne Thomas, der urplötzlich ein volles Haus hat und ein Konsulat beherbergt.
Mein Freund Miloš bringt es etwas nüchterner auf den Punkt: „Wir hatten hier auf dem Balkan in der jüngeren Vergangenheit genug Stress. Jetzt haben wir gerade wieder einen Zustand erreicht, in dem wir bei Konflikten nicht sofort aufeinander schießen. Spaßvögel und Anarchisten, die hier für Unruhe sorgen, Grenzen in Frage stellen und neue Länder gründen wollen, können wir gerade am allerwenigsten brauchen.“

Karte
Liberland und Sitz der Exil-Regierung
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