
Auf dem alten jüdischen Friedhof in Sombor liegen Leben und Tod nahe beieinander. Zwischen den Grabsteinen und der Kapelle lebt eine Familie mit zwei Kindern.
Wer von Sombor Richtung Bezdan fährt, der kommt auf der Straße „VII Vojvodjanske udarne brigade“ an einen Bahnübergang. Gleich links davor liegt der alte jüdische Friedhof von Sombor. Ich bin die Straße schon x-mal gefahren, bevor mir die große Mauer aufgefallen ist. Noch mal so lange hat es gedauert, bis ich endlich mal einen Blick dahinter geworfen habe.
Es ist ein Tag im Herbst. Die Kastanienblätter bedecken den Boden, die Büsche sind noch grün, der Himmel ist blau, und die Sonne steht am Nachmittag schon recht tief. Ideales Wetter, um ein paar stimmungsvolle Bilder auf einem Friedhof zu machen.
Den alten Eisenzaun zwischen den Backsteinpfosten ziert der Davidstern. Ich schaue durch die Stäbe und pfeife, um zu prüfen, ob ein paar wilde Hunde den Friedhof als ihr Revier und mich als Eindringling betrachten könnten. Es kommt aber nur ein kleiner Mischling um die Ecke, der als ungefährlich einzustufen ist.
Zeugnisse von Liebe und Status
Ich betrete die Begräbnisstätte durch ein schweres Eisenrohr und schaue mich um. Die Gräber werden nicht mehr gepflegt. Die letzten Beisetzungen waren laut den Grabinschriften in den 80er-Jahren. Efeu überwuchert die Grabstellen. Einige Inschriften sind auf Hebräisch und Deutsch.
Kaum ein Grabstein steht noch gerade. Der deutsche Friedhofs-TÜV mit seinen Richtlinien zur Standsicherheit von Grabsteinen hätte hier seine Freude.
Viele Grabstellen haben kunstvolle, schmiedeeiserne Verzierungen. Große und noch etwas größere Grabsteine sind Ausdruck verwandtschaftlicher Liebe oder sollen die irdische Bedeutung des Verstorbenen bewahren.
„Treu ihrem Glauben. Eine wahre Mutter ihrer 5 Kinder. Lebte in voller Aufopferung für Kinder, Enkeln und Verwandten“, lese ich.
Das handgemalte Namensschild aus Blech von Julia Zweig ist vom Stein abgefallen. Es liegt umrahmt von Kastanienblättern auf dem Boden.
Tod und Vergänglichkeit haben das Sagen
Ein kleines Mausoleum hebt sich aus dem Meer von Grabsteinen heraus. Von hier fällt der Blick auf die kleine Kapelle am anderen Ende.
Die Kuppel ist mit Blech beschlagen, auf der Spitze der Davidstern. Im Innern erinnern nur noch ein paar Schrifttafeln auf Hebräisch und einzelne Utensilien an den früheren Gebrauch als Kapelle.
Tod und Vergänglichkeit haben hier das Sagen. Der kleine Hund folgt mir auf Schritt und Tritt.
Zu meiner Überraschung höre ich draußen Kinder spielen. Zwei Fahrräder liegen vor der Gedenkmauer für die Opfer des Holocaust. Ein Ball rollt über die Wiese.
Draußen treffe ich Erika (42). Sie lebt vom Frühling bis in den Herbst mit ihren beiden Kindern Marija (12) und Almir (7) sowie ihrem Mann auf dem Friedhof. Ein kleiner Anbau an der Kapelle ist ihr Heim. Eine Decke hängt vor dem Eingang. Im Fenster steht ein orthodoxes Heiligenbild.
„Im Sommer ist es hier angenehmer als in der Stadt und es gibt keinen Lärm“, sagt sie. Dort hat die Familie im Winter eine kleine Wohnung. Erikas Mann arbeit beim städtischen Friedhofsamt, daher können sie hier wohnen.
Internet gibt es in Sombor auch auf dem Friedhof
„Wir haben hier alles, was wir brauchen: Wasser, Strom, Internet“, berichtet sie. Auf der Wiese nebenan steht ein kleines Toilettenhäuschen.
Auf der anderen Seite der Kapelle hat sich in einem kleinen Zimmer ein weiterer Bewohner eingerichtet. Er sitzt am Tisch, macht Kreuzworträtsel und will nicht gestört werden.
Ganz so einsam, wie ich dachte, ist es hier also nicht. Leben und Tod liegen hier nahe beieinander.
Während ich mit Erika spreche, kommt ein Mann aus der Nachbarschaft und mäht mit seiner Sense Gras für sein Vieh. Von der angrenzenden Wiese schauen Ziegen durch den Zaun.
Ein Friedhof mit einem Briefkasten für Erika
Ich frage Erika, ob es nicht unheimlich sei, auf einem Gräberfeld zu wohnen. „Nein“, sagt sie, „man gewöhnt sich sehr schnell daran und den Kindern mache es auch keine Angst“.
Als ich den Gottesacker wieder verlasse, sehe ich am Tor ein mit Kordel festgebundenes Stück Rohr. Erika hat hier sogar einen Briefkasten.
PS: Mehr Rost und Vergänglichkeit? Schaut Euch meine Fotos vom alten Bahnbetriebswerk in Sombor an.
Fotos vom alten jüdischen Friedhof in Sombor
Die Karte zum alten jüdischen Friedhof in Sombor
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Somborci treba da se zastide,jer toliko malo poznaju svoj grad !!!
Hvala ti ,sto posle pedeset i neke,otkrivam svoj grad !!!
Sehr schöne Fotos, die viele Erinnerungen wecken. Danke!
Als ich vor wenigen Jahren zum ersten Mal in Sombor war, haben mir meine Gastgeber fast als Erstes diesen eindrucksvollen Ort gezeigt.
Danke! Wann steht der nächste Sombor-Besuch an?
Hm, ich war vor gut einer Woche in Sombor. Meine Gastgeber wohnen da „gleich um die Ecke“.
P.S. Ich weiß nicht, was du als Profi von der Lizenzierung von commons.wikimedia.org hältst, aber einige deiner Fotos wären wunderbar auf https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Jewish_Cemetery_in_Sombor aufgehoben 🙂
Ich schau’s mir mal an 🙂
Wenn ich in Sombor komme, muss unbedingt diesen Ort besuchen. Schikars kenne ich aber Judische Friedhof ist mir nicht bekannt.
From the artcle above: „Zwei Fahrräder liegen vor der Gedenkmauer für die Kriegsgefallenen.“ This is a serious oversight, since there is no „monument to victims of war“ (Kriegsgefallenen) here — these names, on this wall that is mentioned here, are the names of those who were killed en masse NOT as casualties of war but simply because they were Jews. They didn’t die in a battle, but were gathered, transported and destroyed, and such an act does not fall under any known concept of war but instead falls under the concept of what is known today as war crime. In short, they are the Holocaust victims, and not victims of war — systematic destruction of Jews had nothing to do with the war, and the war was only a cover under which this systematic destruction was going on. To state that Holocaust victims were „victims of war“ is an act of revisionism. Please modify this in the text above.
Thanks for your note. I didn’t looked closely enough. It’s corrected.