
Vor 267 Jahren entschloss sich der Fassbinder Johann Beck aus Schwaben für eine bessere Zukunft mit seiner Familie auszuwandern. Er packte seine Habseligkeiten und Baumaterial für ein neues Haus auf ein Boot, fuhr mit der Ulmer Schachtel die Donau hinab, landete in Apatin und ging zu Fuß nach Sombor.
Sieben Generationen später leitet dort sein Nachkomme Anton Beck (65) den „Deutschen Humanitären Verein St. Gerhard“. In ihm haben sich die Nachfahren der Donauschwaben organisiert. Sie halten die Erinnerung an die Vergangenheit wach, unterstützen sich in der schwierigen Gegenwart und haben eine Vision für die Zukunft.
Ich habe mich mit dem Vereinsvorsitzenden Anton Beck verabredet, um mehr über die Deutschen in Sombor und der Vojvodina zu erfahren.
Sein Domizil hat der Verein am goßen katholischen Friedhof der Stadt an der Straße Matije Gupca (siehe Karte unten). Anton Beck legt Wert darauf, dass man nicht auf dem Friedhof sei, sondern angrenze. Eine kleine Mauer trennt vom Grabfeld, eine große umschließt den Friedhof, das Vereinsareal und das Pfarrhaus der Friedhofskirche.
Am eisernen Tor empfängt die Besucher das Wappen der Donauschwaben, an der zweiten Tür sagt ein Aufkleber „…wir sprechen auch Deutsch“. Meine Landsleute.
Im Flur steht ein Büchertisch mit deutscher Literatur, an den Wänden hängen Schaubilder zur Geschichte der Donauschwaben.
Donauschwaben erleben kleine Renaissance
Mein erster Eindruck ist, das Haus atmet aus Wänden und Decken reichlich Pädagogik. „Ja,“ lacht Anton Beck „das stimmt natürlich. Wir unterrichten hier schließlich auch Deutsch. Und: Das Gebäude war früher ein Kindergarten. Es stand in Süddeutschland, bevor es dort weichen musste und ein zweites Leben als Vereinhaus in Sombor fand.“ Dank der Konstruktion aus Fertigteilen konnte es auswandern – wie einst die Donauschwaben.
Anton Beck ist Begründer und Initiator des Vereins, den es in dieser Form seit 1999 gibt: „Die Keimzelle war eigentlich der Wunsch einiger Donauschwaben, eine deutsche Messe zu lesen. Das war im Kommunismus nicht so einfach, daher haben wir es privat organisiert. Aus dieser Gruppe ist dann der Verein entstanden, der aber lange nur in Privaträumen bestand. Auch Dank der Unterstützung aus Deutschland haben wir nun ein eigenes Vereinshaus.“
Heute sind unter dem Dach des Vereins drei Institutionen tätig: die Donauschwäbische Kulturstiftung des Landes Baden-Württemberg (DSKSBW), das Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) und die Humanitäre Hilfe Robert Lahr (Eggenfelden). Ein weiterer wichtiger privater Förderer der humanitären Arbeit ist zudem Franz Wesinger aus Olching.
Wie definieren sich die Donauschwaben heute, möchte ich von Anton Beck wissen. Sagt man „ich bin Deutscher“ oder gibt man sich nicht als „Švaba“ (gesprochen: Schwaba), wie die Serben sagen, zu erkennen?

„In meiner Kindheit haben die Familien meist nur zuhause Deutsch gesprochen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es im Kommunismus sehr unangenehm, sich als Deutscher zu bekennen“, erklärt Beck. Die deutsche Besatzungszeit sowie die anschließende Internierung und Vertreibung der Donauschwaben nach dem Krieg sei das dunkelste Kapitel in der rund 300-jährigen Geschichte. Heute erlebe man aber wieder so etwas wie eine kleine Renaissance. Viele der Donauschwaben sagen wieder „Ja, ich bin Deutscher“. Was auch daran liege, dass sich die Regierung in Belgrad klar Richtung Westen und EU orientiere – auch wenn das nicht deckungsgleich mit der Stimmung in der Bevölkerung sei, so Beck.
Dennoch würden 50 Jahre Kommunismus immer noch nachwirken. Damals sei ein Schwarz-Weiß-Bild vom heldenhaften Partisanen und den schlimmen Deutschen gezeichnet worden.
Hohe Arbeitslosenquote in Sombor
In den vergangenen zehn bis 15 Jahren habe sich das Verhältnis zur deutschen Minderheit aber entspannt. Die Deutschen seien heute wie die Kroaten, Ungarn und Serben ein normaler Teil der Vielvölker-Gemeinschaft Vojvodina. Zudem würden viele Serben ihre wirtschaftliche Perspektive in der EU und in Deutschland sehen, was dem Ansehen der Deutschen nicht schade.
Und was macht der Verein heute? „Alle an der deutschen Sprache und Kultur Interessierten sollen ihren Platz in unserem Verein finden“ sagt Beck. „Wir sind in der Kultur-, Bildungs-, Medien-, Kinder- und Jugendarbeit aktiv. Dazu gehören Deutschkurse genauso wie Workshops mit Kindern oder die Organisation von Ferienfreizeiten. Wir haben rund 700 Mitglieder in Sombor und der Vojvodina.“

Die Deutschkurse des Vereins erfreuen sich gerade großer Beliebtheit. Von der Stufe A1 bis zur Prüfung „Deutsch als Fremdsprache“ reicht das Angebot. Das sieht Beck mit einem lachenden und einem weinenden Auge: „Einerseits freut uns das Interesse an der Sprache und unserem Angebot. Anderseits sehen wir natürlich auch, dass viele Menschen Deutsch lernen, um in Deutschland zu arbeiten oder auszuwandern, da sie hier keine wirtschaftliche Perspektive sehen. Das macht die Lage für die, die bleiben, natürlich nicht besser.“
Ja, die wirtschaftliche Lage sei alles andere als rosig. Die Arbeitslosenquote liege in Sombor zwischen 30 und 40 Prozent, berichtet Beck. Das Durchschnittseinkommen beziffert die Stadtverwaltung auf rund 350 Euro netto monatlich.
Aber wie kann eine Stadt mit 60.000 Menschen funktionieren, in der die Hälfte arbeitslos ist und es nur noch zwei oder drei Firmen als Arbeitgeber gibt? „Das frage ich mich auch manchmal. Alles läuft nur noch auf einem Minimalstandard, so, dass es gerade noch funktioniert. Ohne Schwarzarbeit komme kaum jemand über die Runden“, sagt Rentner Beck offen.
Früher habe es große Firmen mit mehreren tausend Beschäftigten gegeben. Heute seien es noch eine italienische Modefirma, ein Unternehmen für Milchprodukte und landwirtschaftliche Betriebe, die eine größere Zahl von Arbeitsplätzen bieten würden. Die anderen hätten Jobs im öffentlichen Sektor wie Verwaltung, Gerichte, Polizei oder Krankenhaus oder lebten von minimalen Renten und der Unterstützung von Verwandten aus dem Ausland. Arbeitslosengeld gibt es in Serbien sechs Monate. Danach kommt nichts mehr.
„Die Menschen verdienen wenig. Die Preise an der Tankstelle sind aber ähnlich denen in Deutschland, und der Einkauf im Supermarkt ist nicht billiger als in Deutschland, sondern teurer“, sagt Beck. Ich bin überrascht.
Jedes Jahr im Herbst, wenn zusammen mit der Humanitären Hilfe Robert Lahr (Eggenfelden) die Pakete für bedürftige Mitglieder vorbereitet werden, sitzen Beck und seine Mitstreiter über den Listen und vergleichen, wo sie Grundnahrungsmittel, Hygieneartikel und Alltagsbedarf günstiger einkaufen können – in Deutschland oder in Serbien. „Von 28 Artikeln, die wir mit unseren Partnern in Deutschland für die Hilfspakete kaufen, sind nur drei im serbischen Großhandel billiger als in Deutschland: Zucker, Sonnenblumenöl und Waschmittel. Alles andere ist in Serbien teurer.“
Da sieht man, wie stark die Preise in Deutschland vom Wettbewerb der Discounter gedrückt werden.
„Rechnung für gute Zeiten zahlen wir heute“
Ob man da nicht verstehen könne, dass viele Menschen der Tito-Zeit nachtrauern, als alle Arbeit und genug zum Leben hatten, möchte ich von Anton Beck wissen.
„Ja“, sagt er unumwunden. „Ich hatte auch einen guten Job als Zweiter Technischer Direktor bei einem Regionalsender in Sombor. Wir hatten alles was wir brauchten. Ich reiste regelmäßig nach Belgrad, in die Schweiz oder zu Siemens nach Deutschland. Aber es waren doch auch Potemkinsche Dörfer, in denen wir im Sozialismus lebten. Irgendwann war dieses System nicht mehr wettbewerbsfähig und lebt nur noch von der Substanz. Und die ist immer irgendwann aufgebraucht. Die Rechnung für die guten Zeiten damals zahlen wir heute.“

Wo die Reise heute in Sombor hingehe, sei nur schwer zu sagen. Einzelne private Initiativen wie etwa im Tourismus und am Donauradweg seien Lichtblicke. Dafür müsse man in der Region aber noch mehr zusammenarbeiten und sich vernetzen, ist sich Beck sicher.
Alle hofften natürlich auf Investoren aus dem Ausland. Doch damit habe man auch schon schlechte Erfahrungen gemacht. Gerade habe die Akkumulatoren-Fabrik in Sombor Konkurs angemeldet. Trotz Investor.
Und wie geht es heute mit den Donauschwaben in Sombor weiter?
„Wir haben viele Ideen und ich freue mich, dass in letzter Zeit wieder mehr junge Menschen in den Verein kommen“, sagt Beck. Der Verein hat auf Facebook immerhin rund 1400 Fans – doppelt so viele wie Mitglieder. Realistisch müsse man aber sagen, dass es in 20 Jahren kaum noch „echte“ Donauschwaben geben werde. Becks Sohn ist auch schon vor Jahren nach Deutschland gegangen. Bis zum Zweiten Weltkrieg lebten in der Vojvodina rund 500.000 Donauschwaben, heute sind noch rund 4000.
Die Zeiten von Johann Beck, dem Fassbinder, donauschwäbischen Auswanderer und Vorfahren von Anton Beck, sind also lange vorbei. Damals wurden von der Habsburger Kaiserin Maria Theresia nach dem Türkenkrieg viele Dörfer rund um Sombor wiederbesiedelt. Kolut, Gakovo oder Kernei (heute Kljajićevo), wo Johann Beck sein Haus baute, waren deutsche Siedlungen. Heute sind die Donauschwaben dort eine kleine Minderheit. Die Reise ging für sie in den vergangenen Jahren eher in die andere Richtung – zurück ins Schwabenland.
Tito erklärt Donauschwaben zu Volksfeinden
Dörfer wie Gakovo (Gakowa) und Kruševlje (Kruschiwl) stehen heute zudem für eine finstere Zeit donauschwäbischer Geschichte in der Region. Am Ende des Zweiten Weltkriegs will sich Tito für die Besatzung durch Nazi-Deutschland und die Gräueltaten der Wehrmacht rächen und erklärt die Donauschwaben zu Volksfeinden. Sie werden entrechtet, verfolgt, ermordet und in Arbeitslager interniert. In Gakovo und Kruševlje starben damals über 10.000 Menschen. Der Verein betreut heute die Gedenkstätte.
Doch das ist Vergangenheit. Heute schallt wieder Kindergeschrei durch die Räume des Vereins, wenn Gruppen basteln, zur Ferienfreizeit kommen oder spielerisch Deutsch lernen.
Anton Beck blickt daher optimistisch in die Zukunft: „Meine Vision ist, dass wir aus dem Verein mit seinen donauschwäbischen Wurzeln ein Deutsches Kulturzentrum entwickeln können. So könnten wir die Geschichte bewahren und eine Brücke in die Zukunft schlagen. Das wäre sicher eine Perspektive für die nächsten 50 bis 100 Jahre.“
Dem nahen Friedhof wollen sich die Donauschwaben in Sombor keinesfalls geschlagen geben.
Karte
Bezahlung durch Anerkennung und Teilen: Euch gefällt dieser Beitrag? Dann teilt ihn bitte in den sozialen Medien – und folgt dem Sombor Blog auch auf Twitter und/oder unserer Facebookseite! Danke!
Neu: Unsere Fotos aus Sombor und der Umgebung findet Ihr auch auf Instagram.
Newsletter: Du möchtest immer über neue Blog-Beiträge informiert sein? Und auch das Eine oder Andere rund um den Blog zusätzlich erfahren? Nichts leichter als das: Hier kannst Du den kostenlosen SOMBOR BLOG NEWSLETTER abonnieren.
Gefällt mir sehr gut…
Vielen dank für E-Mail. Schreiben werde ich nicht viel da wir uns bald in Sombor sehen werden. Letztes Jahr sind wir nur kurz in Sombor gewesen und habe Sie nicht erreichen können. Das Jahr wird es etwa zweite Hälfte August sein und hoffentlich treffen wir uns dann. Bitte um Mitteilung was ist dringend nötig im Verein?
Mit freundlichen Grüssen
Familie Zvekan
Liebe Freunde,
Es erfüllt mich mit Stolz dieser wunderbaren Gemainschaft gehören zu dürfen. Sie führt mich zu menen Wurzeln
zurück.
Mit recht herzlichen Grüssen,
Janos Raduka
Ich war selbst im KZ Gakovo, gerade mal 7 Jahre alt, habe noch nichts vergessen. Es war grausam jeden Tag die vielen Toten auf den Strassen zu sehen. Ich glaube dass es mehr als 10 000 Opfer waren die dort begraben sind. Allein aus Backi Brestovac sind von 1500 Internierten über 900 in Gakovo verhungert und an Typhus gestorben. Bin selbst aus Backi Brestovac und daher ist mir die Zahl der Opfer bekannt.
Mein Belgrader Anwalt sagte, dass in Sombor das beste Agrar Land liegt und daher fuer Investoren interessant sei. Es sei auch der beste Landstrich. Wenn keine Gewinne im Land verbleiben, weil Privatiers oder der Staat Gewinne nicht richtig verteilen und diese nicht transparent wutden, muss die Armut in Kauf genommen werden. Es wird sich nicht ändern, denn Jean Claude Junker sagt, dass die EU weder den Mitgliedern noch den Beitritts Kandidaten gehört. Ein Eintritt verlangt grundlegende Aenderungen in Serbien. Dazu ist der Premier und Außenminister offiziell bereit, aber es fehlen Handlungen. Auch die Rueckgabe von Daten von vermissten Personen aus dem Kroatien Krieg sei wieder fehlgeschlagen. Gab doch Vucic wieder nur zwei Unterlagen von ohnehin schon bekannten Daten bei seinem letzten Besuch in Kroatien. Dabei soll Kroatien den EU Zutritt unterstuetzen und wenn Kroatien unzufrieden sein sollte, mit Serbiens Zusammenarbeit, wird es eventuell gegen den Zutritt stimmen muessen, falls auch mit Kroatien Grenz Fragen ungelöst bleiben. Die Ausgrenzung von Minderheiten ist auch, wie die Menschenrechte noch weiter ungelöst, da die Staats Anwaelte von der Regierung abhängig sein sollen laut Presse, also nicht frei und unabhängig. wie z. B. in der EU. Junker fürchtet, wenn es Vucic nicht gelingt, den Staat baldigst in die EU zu führen, drohte Serbien ohne EU wieder eine militärische Auseinandersetzung.