
Viele Menschen verlassen Serbien, um im Ausland Geld und Glück zu finden. Doch einige kommen auch wieder zurück. Robert Kelsch ist einer von ihnen. Vor fünf Jahren kam er heim nach Apatin. Nach 43 Jahren in Wien. Er war auf der Suche nach Ruhe und Sonne. Beides ist für ihn wichtig. Er braucht es für seine Handwerkskunst. Kelsch ist Geigenbauer.
Wer die Werkstatt von Robert Kelsch in Apatin betritt, der taucht scheinbar in eine andere Zeit ein. Stress und Hektik bleiben draußen.
Dort, wo mit Holz gearbeitet wird, gibt es diese angenehme Wärme des Materials, diesen Geruch von Holzspänen, Schleifstaub, Leim und Öl – vermischt mit etwas Zigarettenqualm. Hier fertigt Kelsch edle Geigen, die den Vergleich mit großen Meistern nicht scheuen müssen. Ruhe und Geduld sind dabei ebenso wichtige Werkzeuge wie Säge, Hobel, Feile, Ziehklinge und Beitel.
Ein Geigenbauer lernt nie aus
Der Apatiner hat sein Handwerk von der Pike auf gelernt. Schon als junger Bub musizierte er in der Musikschule seines Heimatortes. Der Vater, Donauschwabe, spielte ebenfalls Geige. 1969 wanderte dann die komplette Familie nach Wien aus. Robert ging dort weiter zur Schule.
Die Geige hatte er zwischenzeitlich beiseite gelegt. „In meinen wilden Jugendjahren waren Rock und die Gitarre angesagt“, erinnert er sich schmunzelnd. Doch die Liebe zu den klassischen Instrumenten war nicht verloren gegangen. Kelsch lernte in Wien bei Bösendorfer Klavierbauer und damit auch die handwerklichen Fähigkeiten der filigranen Holzbearbeitung.

Und wie kam er dann darauf, Geigen zu bauen, möchte ich von ihm wissen? „Man kommt irgendwann einmal an einen Scheideweg und fragt sich, wie kann ich meine Zeit so gestalten, dass es einen Sinn macht. Und da hat mich die Faszination für die Geige, die schon seit der Kindheit in mir schlummert, wieder gepackt.“
„Nun kann man nicht von heute auf morgen Geigenbauer werden, es ist neben den Uhrmachern sicher die schwierigste und anspruchsvollste Handwerkskunst“, sagt Kelsch. Mit seinen Kenntnissen als Klavierbauer und Geigenschüler hat er sich langsam in das Handwerk hineingearbeitet – Geige für Geige sozusagen.
Zehntel Millimeter entscheiden den Ton
Kelsch baut jetzt schon seit 20 Jahren Geigen, er würde aber nie sagen, dass er ausgelernt hat. „Der Geigenbau ist eine Wissenschaft und ein Mikrokosmos für sich. Zehntel Millimeter entscheiden über Klang und Qualität. Hätte ich gewusst, wie schwierig es ist, hätte ich vielleicht nie angefangen“, sagt er lachend. Die Demut vor dem Instrument bleibt: „Erst nach Jahrzehnten weiß man, wie wenig man weiß.“

Doch wie entsteht nun so eine Kelsch-Geige? Der Handwerker zeigt mir in seinem Materiallager einen groben Holzscheit. Und daraus soll eine Geige, die Königin der Streichinstrumente entstehen? „Ja“, sagt er, „und ich fertige alle Teile komplett selbst – nur so habe ich die volle Kontrolle über die Qualität.
Die Qualität der Geige entscheidet sich für ihn schon beim Holz. Sein Rohmaterial bezieht Kelsch aus Bosnien. Dort gibt es bei Travnik und Sarajevo zwei Gegenden mit den besten Bedingungen für Geigenholz. Durch die kargen Böden hat das Holz wenige Mineralien aufgenommen. In Höhen ab 1500 Metern wächst der Riegelahorn zudem extrem langsam, ist hart und hat ganz eng beieinander liegende Jahresringe.

Der 61-Jährige kauft für sein Handwerk ganze Stämme. „Erst nach zwei bis drei Geigen aus einem Stamm kann man sagen, dass man das Holz kennt und weiß, wie die Geige herauszuarbeiten ist“, erklärt er. Um den Faserverlauf im Holz nicht zu zerstören, lässt Kelsch sein Holz zudem spalten und nicht sägen.
Der Holzscheit wird anschließend in eine keilförmige Form gebracht und längs aufgeschnitten und am Stoß wieder zusammengeleimt. So erhält die Geige auf beiden Seiten die identische Maserung.
Seine Hölzer lagert der Apatiner mindestens zehn Jahre. „Auch wenn es trocken ist, arbeit das Holz noch viele Jahre. Im Holz ist eine enorme Spannung.“
„Geige und Töne sind schon im Holz“
Neben dem handwerklichen Geschick der Hände ist das Gehör für einen Geigenbauer von großer Bedeutung. Wenn Kelsch mit dem Finger gegen seine Rohlinge klopft, kann er schon die Obertöne heraus hören, die die fertige Geige später einmal haben wird. Für mich bleibt es ein banales Tock-Tock.
Die Werkzeuge sind eher von zierlicher Gestalt. Mit kleinsten Hobeln werden die Feinheiten herausgearbeitet, Beitel formen die Schnecke und Abziehklingen lassen die kleinsten Werkzeugspuren an der Oberfläche verschwinden.
„Viele denken, dass die Ober- und Unterseite der Geige auf eine Form gepresst und gebogen werden. Das ist aber nicht so. Diese Teile werden auf zehntel Millimeter komplett aus dem Holz heraus gearbeitet. Lediglich die Leiste, die die beiden Seiten verbindet, wird gebogen“, erklärt Kelsch. „Das Holz diktiert dabei alles. Die Geige und der Ton sind schon im Holz. Die Kunst besteht darin, sie herauszuarbeiten und alles Überflüssige wegzulassen.“

Jeder Geigenbauer hat seine eigene Form, die die Geige charakteristisch macht. Die Kelsch-Geigen haben eine leicht gothische Anmutung. Der Laie erkennt allerdings erst bei genauem Hinsehen die Details am Rahmen, der Schnecke oder dem „f“, dem Schallloch im Klangkörper.
Ist eine teure Geige auch eine gute Geige? „Das ist nicht allein entscheidend. Genausso wichtig ist, dass Musiker und Geige zueinander passen. Nur dann öffnet sich die Geige – jede Geige braucht andere Hände.“
Kelsch arbeitet durchschnittlich sechs Stunden am Tag – mal macht er ein paar Tage Pause, dann ist er wieder zehn Stunden dabei. „Das ist immer eine Frage der Konzentration. Man kann Geigen nicht in festen Acht-Stunden-Schichten bauen.“
Für eine Geige braucht er etwa einen Monat, ein Cello dauert drei Monate. In den Jahren ist er so auf über 120 Geigen gekommen, die seine Werkstatt verlassen haben.
Suche nach der perfekten Geige
Nun hatte Kelsch mir zu Beginn erzählt, er sei wegen der Ruhe und der Sonne von Wien zurück nach Apatin in das elterliche Haus gekommen. Die Ruhe kann ich nachvollziehen. Die turbulenten Zeiten sind hier in Apatin an der Donau vorbei. Wer Ruhe braucht, ist hier richtig. Doch wozu die Sonne?
„Neben den vielen Geheimnissen, die in einer Geige stecken, ist der Lack von großer Bedeutung. Die Mischung ist eine Wissenschaft für sich und natürlich ein Geheimnis. Die lackierte Geige muss je nach Lack Tage bis mehrere Wochen an der Sonne trocknen“, erklärt Kelsch. Und der Sommer ist in Serbien nun mal etwas länger und intensiver als in der Alpenrepublik – und in Apatin werfen keine hohen Häuser Schatten. Der Geigenbauer hat also alles, was er braucht.
Trotz idealer Arbeitsbedingungen bleibt Kelsch ein Suchender: „Die letzte Geige soll natürlich immer die Beste sein – ob’s gelingt, weiß man vorher nie. Man bleibt also ewig auf der Suche nach der perfekten Geige.“ Für die Zukunft hat er nur einen Wunsch: „Ich möchte in Ruhe arbeiten.“


Karte: Hier entstehen die Apatiner Geigen
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